Folge I
„Tatort"-Regisseur über „AfD-Folge": „Wir müssen am Puls der Zeit sein" – EXKLUSIV
Der „Tatort": „Das ist ein ganz wichtiges Fernseh-Ritual", sagt Schauspielerin Anna Schudt (TV-Kommissarin Bönisch im Dortmunder Tatort-Team) über Deutschlands erfolgreichste Krimi-Serie. Sputnik geht dem TV-Phänomen auf den Grund und spricht mit den Machern der Kult-Krimi-Reihe. In den nächsten Wochen werfen wir jeden Sonntagmorgen einen Blick hinter die Kulissen der Serie. Regisseur und Autor Niki Stein berichtet in Teil 1 über die viel diskutierte „AfD"-Folge, die Mitte Dezember lief.
Das Drehteam von „Dunkle Zeit" am Set – v.r.n.l.: Regisseur und Drehbuchautor Niki Stein, Franziska Weisz (Julia Grozs), Anja Kling (Nina Schramm) und Wotan Wilke Möhring (Thorsten Falke) Foto: NDR/Christine Schroeder
Alexander Boos
Der jüngste Hamburger „Tatort" zeigt eine Partei, die der AfD ähnelt. Es ist „Tradition der Serie, aktuelle politische Trends zu zeigen". Das verrät Regisseur Niki Stein. Im exklusiven Sputnik-Interview, das fast durch eine Schneelawine verhindert wurde, spricht er über Themen, die es in die Reihe schafften: Stuttgart 21, das Darknet, die AfD.
Regisseur Stein, der die Folge „Tatort: Dunkle Zeit" inszenierte, war in seinem Winter-Urlaub eingeschneit, als unsere Interview-Anfrage eintraf. „Links und rechts poltern die Lawinen", verriet er. „Wir haben hier in den Schweizer Bergen über einen Meter Neuschnee, und ich bin den ganzen Tag mit Schneeschippen beschäftigt." Außerdem sei er „noch mit einem anderen Drehbuch beschäftigt" gewesen. Dennoch kam das Interview zustande.

Für den AfD-Tatort musste er sich fast hellseherisch betätigen und voraussehen, wie die Alternative für Deutschland (AfD) bei der Bundestagswahl abschneiden wird. Denn als die Dreharbeiten begannen, war die Partei noch nicht mal im Bundestag vertreten. „Als Regisseur ist man ungefähr ein halbes Jahr mit einem Tatort beschäftigt", verriet Nikolaus Stein von Kamienski (genannt: Niki Stein). Er sah den tatsächlichen Erfolg der AfD voraus.

Erst im Mai, also fünf Monate vor der Wahl, begannen die Dreharbeiten für den besagten NDR-Tatort. Sie liefen bis zum 15. Juni 2017. Gedreht wurde in Hamburg, Lübeck und weiteren norddeutschen Städten. Im September zog die AfD schließlich als drittstärkste Partei in den Bundestag ein. Kurz vor Weihnachten, am 17. Dezember, sahen etwa 8 Millionen Zuschauer die Erstausstrahlung von „Dunkle Zeit". Handlung: Die rechtskonservative Partei „Deutschlands Neue Patrioten" (DNP), die sehr stark der AfD ähnelt, sitzt bereits in vielen Landtagen und befindet sich auf direktem Weg in den Bundestag.
Wirklichkeit und Fiktion: AfD-Politiker und ihre TV-Doppelgänger
Bereits kurz nach der Erstausstrahlung der Folge, für die Stein verantwortlich zeichnete, titelten Medien wie die „Berliner Zeitung": „Rechtspopulisten-‚Tatort': Die Parallelen zur AfD sind unübersehbar." DNP-Spitzenpolitikerin Nina Schramm erinnere an die AfD-Bundestagsfraktionsvorsitzende Alice Weidel. Der fiktive Professor Gerhard Schneider ähnle dem realen AfD-Chef Jörg Meuthen.

Stein habe für seine Drehbuch-Recherchen den Kölner Parteitag der AfD im letzten April intensiv verfolgt. Außerdem sprach er mit einem früheren AfD-Politiker. Beim Schreiben habe er aber nicht nur an diese Partei gedacht. „Sondern auch an den Front National, an Trump, Wilders und wie sie alle heißen. Die Figur des Schneider hat auch eher etwas von Bernd Lucke", so Stein. Dem Filmschaffenden war es immer schon wichtig, aktuelle gesellschaftliche und politische Fragen in die Tatort-Reihe mit aufzunehmen: „Es gehört zur Tradition des Tatorts, am Puls der Zeit zu erzählen." Obwohl er sich von realen Ereignissen inspirieren ließ, machte er wiederholt klar, dass er das „Komplott, das wir im Film zeigen, der AfD nicht zutraue".
Anja Kling: „Niki Stein nahm mir alle Bedenken"

DNP-Politikerin Schramm „verkörpert Frauke Petry, Alice Weidel und Beatrix von Storch in Personalunion", schrieb die Süddeutsche Zeitung. Für diese Rolle hatte Stein von Anfang an die Schauspielerin Anja Kling („Die Grenze", „Fünf Freunde") im Blick.
Die DNP-Politiker: Fraktionsvorsitzende Schramm und Professor Schneider stellen sich den Fragen der Presse (Film-Szene). Foto: NDR/ Marion von der Mehden
Sputnik-Interviewanfragen an Frau Kling wurden von ihrer Agentur mit dem Hinweis erwidert, dass die Darstellerin derzeit keine Fragen zu dieser Tatort-Rolle beantworte. In einem Interview mit der ARD sagte Kling: „Die Rolle einer rechtspopulistischen Politikerin war für mich neu und sehr weit von mir entfernt." Regisseur Stein habe ihr jedoch alle Bedenken während der Dreharbeiten genommen.
„HAL" und „Das Böse": Internet-Kriminalität und Stuttgart 21

Dass er spannende, politische Tatorte entwickeln kann, hat Stein schon oft genug bewiesen. So inszenierte er auch den „Tatort: HAL" (Erstausstrahlung: August 2016). Darin ermitteln die Stuttgarter Kommissare Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) in einem Mordfall. Ein Video, das den Mord zeigt, taucht im Internet auf – im sogenannten „Darknet". Die Spur der Ermittler führt zu einem IT-Unternehmen, das mit Künstlicher Intelligenz arbeitet und zunehmend die Kontrolle über gesammelte Daten verliert.
Selbst Utopien wie ‚HAL' müssen immer einen starken Anker in der Wirklichkeit haben, damit sie beim Zuschauer funktionieren.
Niki Stein, Regisseur und Autor der Tatort-Serie
Mit dieser Folge wollte er das Darknet als neues technisches und gesellschaftliches Phänomen darstellen.

Und auch als virtuellen Ort, an dem kriminelle Aktivitäten stattfinden. Für den „Tatort: Der Inder" (Juni 2015) zeichnete Stein ebenso verantwortlich. Die Episode thematisiert Macht und Korruption im Umfeld von Stuttgart 21. Ein ehemaliger Staatssekretär wird Opfer eines Mordanschlags. Das Ermittler-Team Lannert / Bootz kommt ins Spiel. Sie befragen den ehemaligen Ministerpräsidenten, der zum engsten Bekanntenkreis des Opfers gehört. „Wie viel Stefan Mappus und wie viel Winfried Kretschmann" in diesem „durchaus brisanten" Tatort stecke, fragte der Spiegel damals und stellte fest: „Regisseur Stein stellt den Zuschauer auf eine harte Probe."
Reaktionen auf „Dunkle Zeit"
Bereits kurz vor Ausstrahlung der Folge äußerte Stein öffentlich, dass nun zum ersten Mal beim Tatort eine Partei gezeigt wird, „die im Bundestag sitzt. Ich denke aber, alle im Tatort angesprochenen Fragen sollten offen diskutiert werden. Das würde ich mir wünschen." Auf Fan-Seiten wie Tatort-Fans.de diskutieren Zuschauer die Tatort-Folge zur AfD-Problematik. Darunter eine Stammzuschauerin:
#1
Ein sehr gut aufbereitetes Thema, das Niki Stein mit dem nötigen Ernst konsequent umgesetzt hat. Die Angst, die die gegenwärtige Gesellschaft spaltet, wird spürbar. Und Anja Kling überzeugt mich mit jedem kühlen Blick, jeder provokanten Äußerung
#2
Dumme Anti-AfD-Propaganda, ärgerlicherweise bezahlt mit meinen Zwangsgebühren
#3
Die Parallelen zwischen AfD und DNP sind unverkennbar, und das ist auch gut so. Ein kritischer Krimi, der zeigt, wie Rechtspopulismus funktioniert. Dieser Tatort wird für Diskussionen sorgen!


Am Sonntag, den 28. Januar, läuft mit „Déjà-vu" ein Dresdner Tatort im TV. Um 20:15 Uhr in der ARD, im ORF (Österreich) und im SRF (Schweiz). Diesmal muss das Ermittler-Team aus Dresden ein spurlos verschwundenes Kind wiederfinden.
Am Sonntag, den 28. Januar, läuft mit „Déjà-vu" ein Dresdner Tatort im TV. Um 20:15 Uhr in der ARD, im ORF (Österreich) und im SRF (Schweiz). Diesmal muss das Ermittler-Team aus Dresden ein spurlos verschwundenes Kind wiederfinden.
Teilen
Made on
Tilda